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משה קולבאק: געקליבענע ווערק
Moishe Kulbak: Die Selmenianer

geboren 1896 in Smorgon bei Wilna, gestorben 1937 an unbekanntem Ort

Kulbak hat seinen Kurzroman 1928 /1929 in Minsk verfasst, und da Kulbak damals ein bekannter Schriftssteller war, wurde es bald darauf ins Russische übersetzt. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn wurde Kulbak 1937 verhaftet und starb 1940 im Arbeitslager.

Die Selmenianer ist ein wirklich kurzweiliges kleines Geschichtchen, ein Roman mit reichlich absurden Einsprengseln. Die Selmianer sind schweigsam und im Laufe von Generationen haben die Selmianer einen ihnen eigenen Geruch von Heu entwickelt. Sie sind schwarz, rassig, haben eine breite niedere Stirn und fleischige Nase. So beschreibt Kulbak die Selmianer auf den ersten Seiten. Die Männer seufzen, schnauben und wiehern zart und fröhlich, doch ohne Grund wie ein Pferd. Sie sind stämmig und fruchtbar.
Klassisch als Familienroman angelegt, spielen alle Ereignisse in einem von Juden bewohnten Hof ab. In den verschiedenen Hofgebäuden wohnen die vier Onkel Itsche, Sische, Juhde und Folje.
Doch es gibt auch die neue Generation. Im Grunde hat die russische Revolution und die ihr nachfolgende Sowjetmacht mit ihren Neuerungen und neuen Ideen die Lebenswelt der Selmenianer durcheinanderbacht.
Während die Onkel mit ihren langen jiddischen Bärten in der traditionellen Welt verhaftet sind, hört die junge Generation Radio, wie der kleine Bere, ein Bolschewik und Selmianer; er erscheint auf dem Hof und will ihn elektrifizieren. Die Selmianer wussten nicht, wie sie sich dazu verhalten sollten, „wie groß das Übel sein möge“(p.43) und ob Elektrizät überhaupt etwas für den einfachen Menschen sei. Die langen Schatten kriechen mit dünnen Fingern über den Hof, stöbern in den „stillsten Verstecken“ und dringen selbst dort ein, wo „stumme Löcher jahrelang im Finstern geatmet hatten“(p.48). Und nach der Elektrifizierung sucht Onkel Itsche, der Schneider, vorsichtig und mit merkwürdigem Herzweh seinen Schatten, der bisher den ganzen Winter über mit den Füßen an der Nähmaschine liegt, den Kopf auf dem Ofen. Mit Mühe erwischt Onkel Itsche seinen Schatten ganz verwahrlost und benommen irgendwo unter der Pritsche.
Der eine ist neugierig auf die technische Entwicklung, die anderen ziehen sich zurück und hängen an der überkommenen Ordnung. Der kleine, schwarze Motele ist Pionier, während die Großmutter Basche ihn fragt, weshalb er nicht beten geht.
Sonja, die Tochter des Uhrmachers Onkel Sische will den russischen Mehlhändler Pawel Olscheswki heiraten. Dies widerspricht nun der Tradition. Onkel Sische behauptet, an den Moskauer Rabbiner geschrieben und eine Karte erhalten zu haben. Er solle schweigen und die Strafe annehmen. Solche Dinge seien schon im babylonischen Exil geschehen.
Endlich gehen die Selmenianer ins Kino. Tante Gute ist nicht begistert, schweigt nach dem Kinobesuch wochenlang und entscheidet dann: „man macht dunkel, damit nan den Schwindel nicht sehen soll“. Aber ihr Mann Onkel Itsche dagegen ist so begeistert und träumt von den Eisbären, die er im Kino gesehen hat, und schätzt Kino höher als Elektrizität und Radio.
Das Absurde in Kulbaks Roman äußert sich beispielsweise in der Darstellung von Onkel Sisches Tod. Dieser simuliert öfter Ohnmachtsanfälle, doch dann ist es so weit, er seufzt und fällt in den Gang hinein, mit dem Gesicht in den schwarzen Schnee. Das Hof bleibt ruhig und wartet, bis sich herausstellt, dass Onkel Sische diesmal tatsächlich gestorben ist und nicht nur alle zum Narren gehalten hat „Es bleibt die Frage: Was soll so ein merkwürdiges Benehmen eines Menschen?“ (p.117).
„In Moskau macht man schon Hühner aus Watte, erzählt Onkel Juhde. Das ist eine Lüge, sagt der Töpfer, der zu Besuch ist. Es gibt eine Maschine, erzählt Onkel Juhde, und ihre Seele ist aus was für einem Material? fragt der Töpfer. Aus Elektrizität, sagt Onkel Juhde. Solche Hühner lasse ich nicht über de Schwelle, sagt der Töfper. Nichts für ungut, antwortet Onkel Juhde. Schnee und Schnee und Schnee. (p. 135)

משה קולבאק: געקליבענע ווערק. ציקא ביכער פארלאג, 1953
Kulbak: Moische: Die Selmenianer. Kurzroman. Aus dem Jiddischen von Max Reich. Mit einem Nachwort von Jutta Janke. Berlin: Volk und Welt, 1973. (Spektrum; 59).


05. 05. 2022

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