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מענדל מאן: ביי די טויערן פון מאסקווע
Mendel Mann: Vor Moskaus Toren

geboren 1916 in Plonsk (Polen), gestorben 1975 in Paris

Mendel Mann bettet Landschaftsbeschreibungen der russischen Weite, des russischen Winters ic das Kriegsgeschehen ein. In den Beschreibungen zeigt sich deutlich Mendel Manns Ausbilung zum Maler, die er aber wegen des Angriffs der Nazis auf Polen nicht abschließen konnte; er ist in die Sowjetunion geflüchtet.
Der Angriff der deutschen Wehrmacht auf Moskau ist bereits in vollem Gange, als der polnische Jude Menachem Issakowitsch an die Front berufen wird. Er lebt in Tenguschai, einem Dorf im Ural, in dem er nach seiner Flucht von den russischen Bauern in die Dorfgemeinschaft aufgenommen wurde. Das Leben ist einfach, von harter Arbeit auf dem Feld gekennzeichnet, aber dafür umso herzlicher. Menachem fühlt sich beinah als Einheimischer, er liebt die russische Weite mit ihren Birken und Bauernhütten aus Holz, in denen ein Samowar steht und der Bortsch im Kessel dampft, in dem wegen der Armut das Stück Fleisch immer wieder mit Kohl und Wasser aufgefüllt wird und jeder seinen Holzlöffel hat. Doch mit der Einberufung der Bauern in die Rote Armee kommt der Schmerz des wandernden Juden zurück, er ist „nawenade“ - heimatlos.
Menachem ist nicht der Einzige, sondern viele Bauern aus dem Dorf müssen sich mit ihm zur Verteidigung der Hauptstadt melden. Sie finden sich in der klassischen Situation wieder: die Jahreszeiten bestimmen ihr Leben auf dem Feld, doch nun sollen sie ohne Ausbildung das Vaterland verteidigen.
Im Buch symbolisiert sich die Zuneigung Menachems zu den russische Bauern in seiner Zuwendung zu Lioska, einem nach Heu riechenden, sehnsuchtsvollen Bauernmädchen.
Der Leser sieht sich Mitte 1941 nach Russland versetzt. Er ist dabei und soll Moskau vor der deutschen Übernahme bewahren. Die Bauern werden im Herbst 1941 sozusagen direkt vom Feld geholt, als die deutsche Wehrmacht vor Moskaus Toren steht und sollen verteidigen. Menachems Einheit erhält gar nicht erst Soldatenkleidung, denn sie soll als Schutzschild eingesetzt werden. Kleidung auszugeben, lohnt wohl angesichts des wahrscheinlichen Todes einfach nicht. Wer sich weigert, Moskau zu verteidigen, wird von gut genährten, ausgebildeten sibirischen Truppen in warmer Winteruniform mit de Gewehr bedroht und nach vorn in den Kampf getrieben. Die Bauern, die Menschenmassen Russlands, sollen mit ihrem bloßen Leib die deutsche Armee aufhalten.
Es sind auch Figuren wie Frolitisch, der mit Bauernschläue durchkommt, oder Labsin, der die Frauen wärmt. Jeder Soldat hat sein Rezept, mit dem wahrscheinlichen Tod zurechtzukommen.
Der Hass Menachems auf die Deutschen. Er möchte an die Front, nicht in den Stab, er möchte an vorderster Linie die Soldaten bekämpfen, die sein Volk ausgerottet haben. Ein Jude rät ihm gleich am Beginn der Geschichte, seinen jüdischen Namen zu verbergen und ihn in einen russischen zu ändern, um unentdeckt zu bleiben. damit seine Kameraden ihn nicht an die Deutschen ausliefern würden. Der Antisemitismus in der Sowjetunion, der auch Menachem und später die jüdische Ärztin nie dazu gehören lassen, ist immer wieder Thema im Buch. Menachem ändert seinen Namen nicht, erlebt Anfeindungen aufgrund seines dunklen Aussehens und seiner dunklen jüdischen Augen.
Im Kampf wird Menachem verletzt, in ein Kriegsspital gebracht. Dort behandelt ihn die Moskauer Ärztin Anna Samuelowna Korina. Sie ist Jüdin. Beide verbindet eine tiefe Zuneigung und gegenseitiges Verständnis, gepaart mit dem Gefühl von Geborgenheit und Verbundenheit, wenn es um die Vorurteile gegen Juden geht. Die Figur von Anna taucht auch in den nachfolgenden beiden Bände der Trilogie immer wieder auf. Anna ist sich ihrer jüdischen Identität weniger gewahr, sie spricht anders als Menachem nicht jiddisch. Sie ist Sowjetbürgerin, und doch etwas anders als andere, denn ihre Mutter erfährt den offenen Antisemitismus in Moskau. Sie wird in der Schlange vor dem Lebensmittelladen verlacht und verachtet, sie läuft davon. Die Einsamkeit in der Fremde, die Angst des Alleinseins, spürt sie wie Menachem deutlich. Die Juden werden mit Schimpförtern belegt, denn in den Augen der Moskauer Bevölkerung sind sie letztlich am Überfall Hitlers auf die Sowjetunion schuld.
Immer entsteht der Eindruck, der Autor hätte die Geschichten selbst wirklich erlebt, so präzise und detailliert schildert Mendel Mann die Ereignisse, viel von der wahren historischen Stuation wird man in Geschichtsbüchern über den zweiten Weltkrieg wiederfinden. Das macht den Band zu einem Mischmasch zwischen Dokumentation und Belletristik.
Aber Menachem beherrscht die deutsche Sprache, das macht ihn im Laufe der Geschichte "wertvoll" für die Sowjetarmee, denn er kann deutsche Gefangene verhören. Allerdings lässt er sich von einem deutschen Offizier provozieren, verliert die Beherrschung und landet vor einem Militärgericht. Auch im Verhör wird ihm mangelnde Zuwendung zum Sowjetstaat vorgeworfen, man sagt, er bleibe für sich – er bleibt auch hier Fremder. Dass der Jude Menachem sein Leben im Kampf für diesen Staat einsetzt, wird in der Armee eher mit Argwohn betrachtet. Setzt er es nicht ein, ist auch er der Feind. Menachem hat einfach keine Wahl, immer wird ihm von seiner Umgebung misstraut.
Letztlich wird Menachem vom Militärgericht zum Bergbau verurteilt. Das scheint sein Todesurteil zu sein. Im Buch wird eine neue Perspektive auf die Hintergründe in der Sowjetunion aufgemacht. Nach den Bauern und Soldaten sind es nun die merkwürdigen "Elemente" nicht-russischer Herkunft, wie beispielsweise Kasachen, deren Schicksal beschrieben wird. Sie sind Menschen zweiter Klasse, alle sind mit der Minenarbeit zum Tode verurteilt. Es ist nur eine Frage der Zeit. Sie tragen Schuhe aus Gummi… Perverserweise muss Menachem sich der Sowjetmacht aufdrängen, um gegen die Deutschen kämpfen zu können.

מאן, מענדל: ביי די טויערן פון מאסקווע. ארויסגעגעבן פון אלוועלטלעכן יידישן קולטור-קאנגרעס (פאראייניגט מיט "ציקא"). ניו יארק: 1958
Mann, Mendel: Vor Moskaus Toren. Roman. Aus dem Jiddischen von Harry Maór. Frankfurt/Main: Scheffler, 1961.


05. 05. 2022

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